AE: Du hast vorher schon beim Spaziergang begonnen eine Geschichte zu erzählen. Magst du noch einmal von Anfang an beginnen?
Mir: Ok, ich versuchs.
AE: Bedeutet dieses ok, dass du mit einem Gedicht beginnst?
M grinst: Du kennst mich. Diesmal ein Text von Charlotte Baumann
der
anfang
ein wort
menschen
gemacht gedacht
ein . auf einer timeline
der erste der start lass uns
raum und zeit einmal anders
suchen im zeitraum gemisch geknäuelt
zerwuselt in lagen und schichten
sich selbst durchdringend
vor und hintereinander
oben unten rechts
links und schräg
gegegnüber
zeit ist
nicht
was
wir
mit unseren
uhren messen se
kunden minuten stunden
nein zeit vergeht nicht immer
gleich das kennen wir denn glück
fliesst wartet tropft und morgen
war gestern schon also wer
sagt dass zeit eine linie
ist wenn zeit weder
gradlinig noch
innerhalb
unserer
vorstel
lungs
kraft
läge
wenn
sie
der
an
fang
wär
e
.
jetzt
und
jetzt
und
jetzt
AE: Und was hat dies nun mit Geschichten erzählen zu tun?
M grinst schon wieder: Das weiss ich noch nicht so genau. Dazu muss ich einen neuen Geschichtsfaden spinnen.
Als ich in den 90er Jahren studierte, war der radikale Konstrultivismus in: Das nun auch wissenschaftliche Erkennen, dass das, was der Verstand schafft, ein erdachtes Konstrukt ist. Und dieses mental konstruierte Abbild der Wirklichkeit wurde Realität genannt.
AE: Realität. Nicht zu verwechseln mit der Wirklichkeit.
M: Ja. Realität, ein mental geschaffenes Abbild der Wirklichkeit.
AE: Das heisst, Zeit ist ein mentales Produkt, das wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat.
M: Das wissen wir nicht so genau. Wie unsere Zeitmessung mit der physischen Zeit in Zusammenhang steht ist durch unseren Verstand nicht zu definieren.
AE: Der menschliche Verstand ist für diese Leistung zwischen Wirklichkeit und Relaität eine eindeutige Verbindung zu schaffen ungeeignet?
M: Ja.
AE: Mein Bild von der Welt und von mir selbst darin sind erfunden.
M nickt: Es sind immer wieder erzählte Geschichten.
AE: Erzählte Geschichten? Wie meinst du das?
M: Der Körper lebt in der Wirklichkeit. Meine Deutungen der Wirklichkeit hingegen sind Geschichten. Erfundene Geschichten.
AE: Meine Biografie ist erfunden? Habe ich sie mir selbst innerlich so oft erzählt, bis ich sie glaube?
M: Es gibt eine körperliche Biografie. Und paralell dazu erfinden wir eine mentale.
AE: Wozu?
M: Zur Orientierung.
AE: Zur gemeinsamen Orientierung? Oder zu meiner?
M: Wohl beides.
AE: Ich und das Wir sind eng miteneinader verknüpft?
M: Ja, wahrscheinlich. Durch Gewohnheit validiert, benennen die Konstruktivisten diese Leistung.
AE: Unser Gespräch hier findet in jedem Kopf von uns anders statt?
M: Ja, davon gehe ich aus.
AE: Ich habe zwei Themen, die mich locken zu untersuchen. Erstens: Sind die Geschichten frei erfunden? und zweites: Wie verständigen wir uns über frei erfundene Geschichten?
M: Wollen wir selber diese Fragen erforschen? Oder willst du die wissenschaftliche Theorie dazu?
AE: Selbstverständlich gerne selbst weiter suchen.
Ich bin – das ist die erste Geschichte.
Wie meinst du das?
Sobald ich mich aus meinem Körpersein in Wörter, Abgrenzungen und Eingrenzungen hinauswage, verlasse ich das gemeinsame Land.
Ist menatle Aktivität für dich denn immer eine erfundene Geschichte?
Ja.
Also einsam?
Ja und nein. Menschen haben über Sprache ein soziales Netz erfunden, das Kommunikation auch auf der mentalen Ebene ermöglicht.
AE: Magst du was zum Konstruktivismus sagen, den wissenschaftlichen Antworten?
M: Ok. Erst mal zu den Erkenntnissen von Varela und Maturana, beides chilenische Biologen. Nachdem sie das Fluchtverhalten von Fröschen beobachtet haben, die jeden sich bewegenden Schatten für einen möglichen Fressfeind hielten, forschten sie zur Wahrnehmung des Menschen mit der Hypothese, dass sich Gehirne an und für sich eher wie U Boote verhalten, die über ein Teleskop, die Sinne, Reize aufnehmen aus der Wirklichkeit, diese jedoch dem Hirn gemässen Bedingungen entlang verarbeiteten und deuteten.
AE: Was ist dem Gehirn gemäss?
M: Eine, im Verlauf der Entwicklung der Lebewesen, dem Überleben dienende Reaktion.
AE: Das heisst, dass unsere Reaktionen nicht dem entsprechen, was wirklich da ist.
M: Ja. Später wurde der radikale zum sozialen Konstruktivismus revidiert. Forscher wie Maturana sagten nun, dass etwa 10% wirkliche Wahrnehmung unsere Reaktionen und Verarbeitungen mitbeinflussen.
AE: Die anderen 90% sind dann jenseitig von dem, was wirklich da ist?
M: Sie sind sozial gelernte Reaktionen, Abläufe und Deutungen.
AE: Wie kommunizieren wir dann?
M: Über die Sprache und das Nachahmen lernen wir von Geburt an, die Realität unseres Umfeldes zu deuten.
AE: Und machen diese Deutung zu unserer Realität.
M: Wie viel Aufwand wir betreiben, um die gelernten mentalen Gewohnheiten als Wahrheit und Wirklichkeit zu halten.
AE: Wozu machen wir das?
M: Zur Orientierung? Zur Unterhaltung? Zum Spielen mit den vielfältigen Erscheinungsformen unseres Daseins?
AE: Wenn ich diesen Aufwand als Spiel betrachte, …
M: wenn wir spielen und wissen, dass wir spielen, dann …
AE: dann fühle ich mich sehr frei
M: dann fühle ich mich sehr freiwillig hier
AE: ich bin freiwillig Ich
M: ich bin so frei und halte mich manchmal an die Regeln der Kommunikation
AE: wie jetzt
AE: Was verbindet uns, ausser diesen Regeln?
M: Der Körper, die Sinne, der Instinkt, die Energie.
AE: Alles, was sich dem Verstand entzieht?
M: Alles, die grosse Mehrheit der vielfältigen Erscheinungsformen des Lebens.