Praxis herzwärts Hesstrasse 27 Liebefeld

Gedichte und Geschichten

Dies Menschsein ist ein Gästehaus
Jeder Morgen eine neue Ankunft.
Freude, Melancholie, Niedertracht,
Ein kurzes Gewahrsein kommen
Unerwartet zu Besuch. Willkommen!
Ich nehme euch alle auf!
Und seit Ihr eine Schar von Sorgen,
Die mit Gewalt durch das Haus fegt
Und es seiner Einrichtung beraubt,
Auch dann, willkommen. Jeder Gast
Wird würdig behandelt. Vielleicht
Räumt er mich frei für eine neue Wonne.
Die dunklen Gedanken der Scham,
Der Bosheit, begrüsse ich an der Türe,
Lachend, und bitte sie herein.
Bin dankbar für jeden, wer es auch sei,
Denn ein jeder ist mir geschickt
Als ein Wegweiser aus einer anderen Welt.
Rumi

Ein kleiner Junge, der auf Besuch bei seinem Grossvater war, fand eine Landschildkröte und ging gleich daran sie zu untersuchen. Die Schildkröte zog sich unter ihren Panzer zurück und der Junge versuchte vergebens sie mit einem Stöckchen herauszuholen. Der Grossvater hatte ihm zugesehen und stoppte ihn.
„Warte mal“, sagte er.  „ Wir probieren es doch einmal so.“
Sie nahmen die Schildkröte mit ins Haus und setzten sie auf den warmen Kachelofen. In wenigen Minuten wurde das Tier warm, steckte seinen Kopf und seine Füsse heraus und kroch auf den Jungen zu.
„Schildkröten sind manchmal wie Menschen“, sagte der Mann. „Sie lieben es nicht gezwungen zu werden. Güte, Zeit und Mitgefühl helfen uns unseren Panzer verlassen können.“

Ich bin glücklich, bevor ich einen Grund dazu habe.
Ich bin voller Licht, bevor der Himmel Sonne oder Mond begrüsst.
Hafiz

Vor langer Zeit überlegten die Götter, dass es eher gefährlich wäre, wenn die Menschen die Weisheit des Universums finden würden, bevor sie tatsächlich reif genug dafür wären. Also entschieden die Götter, die Weisheit des Universums so lange an einem Ort zu verstecken, wo die Menschen sie solange nicht finden würden, bis sie reif genug sein würden. Einer der Götter schlug vor, die Weisheit auf dem höchsten Berg der Erde zu verstecken. Aber schnell erkannten die Götter, dass der Mensch bald alle Berge erklimmen würde und die Weisheit dort nicht sicher genug versteckt wäre. Ein anderer schlug vor, die Weisheit an der tiefsten Stelle im Meer zu verstecken. Aber auch dort sahen die Götter die Gefahr, dass die Menschen die Weisheit zu früh finden würden. Dann äusserte der weiseste aller Götter seinen Vorschlag: „Ich weiss, was zu tun ist. Lasst uns die Weisheit des Universums im Menschen selbst verstecken. Er wird dort erst dann danach suchen, wenn er reif genug ist, denn er muss dazu den Weg in sein Inneres gehen.“
Die anderen Götter waren von diesem Vorschlag begeistert und so versteckten sie die Weisheit des Universums im Menschen selbst.

Ström in mir, Quelle der Quelle der Freude,
Lebensessenz, Friedenswein,
Der sich in meiner Hand bewegt,
Dann heraus und rundherum
… Du kennst den Rest.
Kerzenschein, enthülltes Geheimnis.
Du bringst das Geschenk herein,
Händigst uns jeden Augenblick aus.
Das Meer der Bedeutungen guckt überrascht,
Wenn diese ausgelassene Gegenwart durchkommt.
Rumi

Ein Wissenschaftler beobachtete einen Schmetterling und sah, wie  sich dieser abmühte, durch das enge Loch aus dem Kokon zu schlüpfen. Stundenlang kämpfte der Schmetterling, um sich daraus zu befreien. Da bekam der Wissenschaftler Mitleid mit dem Schmetterling, ging in die Küche, holte ein kleines Messer und weitete vorsichtig das Loch im Kokon damit sich der Schmetterling leichter befreien konnte. Der Schmetterling entschlüpfte nun  schnell und sehr leicht. Doch was der Mann dann sah, erschreckte ihn. Die Flügel waren ganz kurz und er konnte nur flattern. Der Wissenschaftler ging zu einem Biologen, und fragte diesen: „Warum sind die Flügel so kurz und warum kann dieser Schmetterling nicht fliegen?“ Der Biologe fragte ihn, was er denn gemacht hätte. Da erzählte der Wissenschaftler, dass er dem Schmetterling dabei geholfen habe, aus dem Kokon zu schlüpfen. „Das war das Schlimmste, was du tun konntest. Denn durch die enge Öffnung ist der Schmetterling gezwungen sich hindurch zu quetschen. Erst dadurch werden seine Flügel aus dem Körper heraus gepresst und wenn er geschlüpft ist, kann er fliegen. Weil du ihm geholfen hast und den Schmerz ersparen wolltest, hast du ihm zwar kurzfristig geholfen, aber gleichzeitig verkrüppelt.“ 

Der, der Du mich kennst, Du der Eine in Allem, sag wer ich bin.
Ich bin alle Wesen, die zirkelnde Galaxie, Entwicklung der Erkenntnis,
Entstehen und Vergehen, was ist und was nicht ist.
Ich bin die grosse Sonne und auch des Sonnenstäubchens Tanz im Äther,
Ich bin die Morgen – und Abendröte,
Der Sang des Haines und das Meeresrauschen,
Ich bin der Mast des Schiffes und das Schiff,
Das Steuer und die Hand, die es regiert.
Und auch die Klippe, dran das Fahrzeug scheitert.
Ich bin der Arzt, die Krankheit und der Kranke,
Das Gift und das Gegengift,
Die Rose und die Nachtigall, berauscht vom Rosenduft.
Ich bin die Bitterkeit und die Süsse, bin Krieg und Frieden,
Sieg und Niederlage, der Löwe und die schüchterne Gazelle,
Das Lamm und auch der Wolf und auch der Hirt.
Ich bin alle Wesen, die zirkelnde Galaxie, Entwicklung der Erkenntnis,
Entstehen und Vergehen, was ist und was nicht ist.
Der, der Du mich kennst, Du der Eine in Allem, sag wer ich bin,
Sag, dass ich Du bin.
Rumi